logo-header

Lernen 4.0 - Besser Lernen mit KI?!

Glaubt man den Prognosen führender KI-Forscher*innen wird KI perspektivisch in allen gesellschaftlichen Bereichen an enormer Relevanz gewinnen - auch und vor allem im Bildungsbereich bzw. in Schulen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Veränderungen auf unser Leben auswirken werden.
Ich möchte nun in diesem Artikel das Thema KI im schulischen Kontext beleuchten und dabei speziell auf antizipierte positive Effekte beim Lernen und der Unterrichtsvorbereitung eingehen.

Lernen 1.0 bis 3.0

In diesem Abschnitt versuche ich aus meiner Sicht die Entwicklung des Lernbegriffs im Kontext schulischer Bildung zu beschreiben.
Lernen 1.0: Unter diesem Lernverständnis fasse ich alle Lernformen zusammen, die sich ausschließlich auf die passive Aneignung bzw. Rezeption durch Zuhören oder Lesen von Texten beziehen. Die Lehrperson steht nach diesem Verständnis im Sinne eines allwissenden Gatekeeper im Zentrum des Lerngeschehens, weil sie durch Vorträge/Präsentationen das Lernen für die passiv konsumierenden Schüler*innen überhaupt erst in Gang setzt. Nach dieser Auffassung richtet die Lehrkraft den Unterrichtsstoff nach einem antizipierten Lernniveau aus, das sich an dem fiktiven Durchschnittsniveau einer Klasse orientiert. Differenzierung und Individualisierung spielen nach diesem Lernverständnis noch keine Rolle im Lernprozess.
Lernen 2.0: Mit dem Lernen 2.0 hat ein signifikanter Change im Verständnis, wie Lernen effektiv zu gestalten ist, stattgefunden. Lernen wird nun nicht mehr als passive Aneignung gesehen, sondern als ein aktiver, selbstgesteuerter und auf Interaktion mit anderen Lernenden ausgerichteter Prozess begriffen. Das hat die Rolle der Schüler*innen komplett verändert. Schüler*innen müssen nun ihr Lernen verstärkt selbst in die Hand nehmen, d. h. mithilfe von Lernstrategien sich Wissen selbst aneignen. Durch dieses konstruktivistische Lernverständnis nimmt die Lehrperson auch eine neue Rolle innerhalb des Lernprozesses ein. Sie wird zur/zum Lernbegleiter*in oder Lerncoach, indem sie die Schüler*innen auf ihrem individuellen Lernweg berät und unterstützt.
Lernen 3.0: Beim Lernen 3.0 wird das Verständnis vom Lernen 2.0 unter Einsatz digitaler Medien fortgesetzt. Durch die in den digitalen Medien liegenden Potenziale in Bezug auf Adaption, Selbststeuerung, Interaktion und Kollaboration, wird Lernen individueller und sozialer. Individueller in dem Sinne, dass Lernmanagement-Systeme oder Lernapps, die Aufbereitung differenzierter bzw. individualisierter Unterrichtsmaterialien für die Lehrkraft ökonomisieren und diese dementsprechend den Schüler*innen mehr angeboten werden (Wenn man individuelle Lernaufgaben z. B. zur schriftlichen Multiplikation in einer Mathe-App mit einem einfachen Klick generieren kann, dann werden natürlich auch mehr individuell angepasste Aufgaben den Schüler*innen angeboten). Und sozialer in dem Sinne, dass Lernen nicht mehr nur im stillen Kämmerlein hinter dicken Lehrbüchern stattfindet, sondern in das World Wide Web verlagert wird. Dort suchen die Schüler*innen nach Informationen zu Themen, überprüfen deren Wahrheitsgehalt (Fake vs. Fakt) und tauschen sich im Intranet der Schule mit ihren Mitschüler*innen oder auf öffentlichen Social Media Plattformen mit anderen User*innen über ihr Wissen aus. Damit das digitalgestützte Lernen funktioniert, d. h. die Schüler*innen als verantwortungsbewusste und mündige Nutzer*innen auftreten können, benötigen sie Lernangebote, die ihnen beim Aufbau und der Weiterentwicklung ihrer Medienkompetenz bzw. Digitalkompetenz helfen. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist eine Schlüsselfertigkeit für die selbstständige Wissensaneignung im digitalen Raum und sollte daher als ein fächerübergreifendes Lernziel verstanden werden.
So gesehen leisten die Schulen mit der Vermittlung von Medienkompetenz einen wichtigen Beitrag zum lebenslangen Lernen, wenn das Internet als unerschöpfliche Wissensquellen
für selbstständiges und fortwährendes Lernen verstanden wird.

So gesehen leisten die Schulen mit der Vermittlung von Medienkompetenz einen wichtigen Beitrag zum lebenslangen Lernen, wenn das Internet als unerschöpfliche Wissensquellen
für selbstständiges und fortwährendes Lernen verstanden wird.

Warum KI zu einem Lernen 4.0 führt?

Ich will die eben skizzierte Entwicklung des Lernbegriffs jetzt einmal weiterspinnen und überlegen (vollkommen frei in den Diskursraum geworfen), wie KI unser Lernverständnis positiv verändern bzw. weiterentwickeln und wie sie Lehrkräfte bei der Unterrichtsvorbereitung unterstützen kann.
Wenn wir Lernen im Sinne des Konstruktivismus als einen individuellen Prozess begreifen (Lernen 2.0 und 3.0), wonach die/der Schüler*in, die ihr/ihm dargebotene Welt (der Lernstoff) aufgrund von Vorerfahrungen, Prägungen, Neigungen etc. subjektiv wahrnimmt und begreift und nach diesem Verständnis die Lehrperson als Lerncoach fungiert und individuelle Lernangebote macht, die zur aktiven und selbstgesteuerten Auseinandersetzung anregen sollen, dann kann KI der Lehrkraft bei der Auswahl geeigneter Lernangebote beratend zur Seite stehen.
Dadurch könnten nicht nur die Schüler*innen besser (weil individueller) gefördert werden, sondern es würde auch zu einer erheblichen Arbeitsreduktion in Bezug auf Auswahl oder Erstellung von Übungsaufgaben sowie die damit verbundene Korrektur und damit zu mehr Zeitgewinn für die Lehrkraft führen. Zeitgewinn, den die Lehrkraft zur Verfügung hat, um die einzelnen Schüler*innen noch intensiver bei ihrem Lernprozess zu begleiten, was letztlich und das ist das alles entscheidende, zu einem höheren Lernerfolg führen würde.
Wie könnte so eine Unterrichtsvorbereitung mit KI nun konkret aussehen? Und wie würde sich dadurch das Lernen verändern?

Unterrichtsvorbereitung
Stellen wir uns doch mal vor eine Lehrperson konzipiert eine Unterrichtssequenz in Mathematik zum Thema "Stochastik". Die Lehrkraft arbeitet die zu erlernenden Kompetenzen aus dem Lehrplan heraus und überlegt sich, wie sie unter Verwendung digitaler Medien das konstruktive, selbstgesteuerte und auf Interaktion ausgelegte Lernen der Schüler*innen ermöglichen kann. Zudem führt sie einen Test mit den Schüler*innen durch, der Vorwissen und Grundkompetenzen zum Thema Stochastik abfragt. Die Ergebnisse gibt sie an die KI weiter.
Des Weiteren plant die Lehrperson, wie gelernt werden soll, indem sie didaktisch-methodischen Grundsätze definiert.

Individueller Zugang zum Lerngegenstand
Die Lehrkraft verfolgt die Absicht, dass die Schüler*innen sich selbstständig das Wissen aneignen sollen und möchte hierfür Erklärvideos einsetzen, die einen differenzierten Zugang zum Lernstoffe ermöglichen, d. h. den Schüler*innen individuelle Zugänge zum Lerngegenstand eröffnen. Die Schüler*innen können dann je nach ihrem Vorwissen und Lernstand mithilfe der Erklärvideos sich Grundlagenwissen aneignen. An dieser Stelle kann eine KI das erste Mal die Lehrkraft unterstützen, indem sie das Internet nach Erklärvideos zum Thema Stochastik durchsucht und diese dem aktuellen Lernniveau in Bezug auf stochastisches Grundlagenwissen den Schüler*innen zuweist. Das Ergebnis ist, dass jede/r Schüler*in über z. B. eine Lernplattform ihrem Lernniveau entsprechend maßgeschneiderte Erklärvideos zugewiesen bekommt und so individualisiertes Lernen stattfinden kann.
In einem weiteren Schritt könnte die KI in der Übungsphase, in der die Schüler*innen ihr erworbenes Wissen anhand von Aufgaben festigen sollen, die Lehrkraft bei der Aufgabenerstellung bzw. -auswahl unterstützen, indem sie für jede/jeden Schüler*in differenzierte Lernaufgaben auswählt oder konzipiert, die Ergebnisse überprüft sowie fortwährend selbstständig neue Aufgabentypen und Inhalte auswählt, wenn die Schüler*innen ihr Wissen weiterentwickelt haben.
So betrachtet kann eine KI aus einer Fülle an Daten über das Lernniveau der Schüler*innen Rückschlüsse ziehen, wie sich die individuelle Lernentwicklung der Schüler*inn vollzieht, in welchen Bereichen noch Übungsbedarf ist und wo kompliziertere Aufgaben bzw. neue Inhalte angeboten werden können, um das nächste Wissensniveau zu erreichen.

Und was hat das jetzt mit Lernen 4.0 zu tun?

Nach Graf und Schmitz (2020) ist Lernen 4.0 geprägt durch Digitalisierung, Technologisierung und Vernetzung physischer Prozesse bzw. Objekte mit digitalen Daten (...) Durch Applikationen künstlicher Intelligenz (KI) werden auf Basis vielfältiger Daten (zum Beispiel aus Sensoren in Smart Watches, Big Data, ...) individuelle, adaptive Unterstützungs- angebote für den Lernenden generiert. (Zum Text "Agiles Lernen, New Learning, Lernen 4.0").
Nach dieser Definition wird beim Lernen 4.0 unter Verwendung von KI das konstruktivistische Lernverständnis radikal weiter gedacht, indem mithilfe vielfältiger Daten Lernangebote noch individualisierter unterbreitet werden können. Das Ergebnis, wie im Beispiel oben beschrieben, ist ein datenbasiertes Lernprofil jeder/jedes einzelnen Schüler*in, das Rückschlüsse auf lernförderliche und lernhinderliche Faktoren ermöglicht und Einblicke in die individuellen Lernzugänge gibt.

Wird das Lernen mit KI nun unpersönlicher?

Wie bei so vielem, sollte man Lernen mit KI nicht dogmatisch betrachten. Lernen ist ein komplexes Geschehen, das von vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Neben einem maßgeschneiderten Input, bei dem KI helfen kann, ist erfolgreiches Lernen vor allem von sozialer Interaktion abhängig. Ein technokratisches, sozial isoliertes Lernen wird also nicht den erhofften Lernerfolg bringen, den sich manch einer verspricht.
Es gilt also einerseits die Potenziale von KI für individualisiertes Lernen und für eine ökonomischere Unterrichtsvorbereitung zu nutzen. Andererseits sollte die Lehrkraft den Unterricht unter didaktisch-methodischen Gesichtspunkten so konzipieren, dass Lernen problembasiert und interaktiv gestaltet ist und kreative Lösungen verlangt.

Weiterführende Links zum Thema KI im Unterricht

  • Der Beitrag Einsatz von künstlicher Intelligenz der Initiative D21 beschreibt unter Bezugnahme auf diverse Publikationen sehr differenziert, welche Potenziale KI für den Unterricht bietet, worauf es zu achten gilt und was KI nicht leisten kann.
  • Das nicht profitorientierte Projekt KI macht Schule bietet seit 2019 an Schulen und Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland Kurse zu aktuellen Themen aus Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz an.
  • Mit dem Schulversuch KI@School für bayerische Schulen soll herausgefunden werden, wie KI einen wichtigen Beitrag zur Optimierung des Lehrens und Lernens leisten kann und wo Grenzen zu setzen sind.
Alexander Sali
Über den Autor Alexander Sali Alex ist Mitgründer von Freigeist und Förderschullehrer mit großer Leidenschaft für digitale Medien. Seit Sommer 2023 ist er Schulleiter der Franziskus-Schule in Starnberg. Von Sept. 2018 bis Aug. 2020 arbeitete er an der Regierung von Oberbayern und war dort für die Koordination der digitalen Bildung an Förderschulen zuständig.
logo-header
Über Freigeist Leicht bedienbare digitale Unterrichtsplanung Freigeist ist eine Onlineanwendung für Lehrerinnen und Lehrer, um Unterricht digital zu planen. Mehr erfahren