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Sozialisation in einer Wissensgesellschaft

Beat DÖBELI HONEGGER konstatiert in seinem Buch „Mehr als 0 und 1“, inwiefern Kommunikationsmedien als Auslöser von Leitmedienwechseln zu bewerten sind.
In Anlehnung an BAEKERs Recherchen kommt DÖBELI HONEGGER zu dem Ergebnis, dass sich innerhalb der Menschheitsgeschichte schon immer Leitmedienwechsel vollzogen haben (siehe Abbildung), die mit einer Veränderung gesellschaftlicher Strukturen einhergehen und in letzter Instanz in einem Kontrollverlust münden (vgl. DÖBELI HONEGGER 2017, 24).

Grafiken zum Buch "Mehr als 0 und 1"

Im Gegensatz zu anderen Leitmedienwechseln ist der aktuelle Wechsel vom Analogen zum Digitalen viel tiefgreifender, um es zeitgemäß auszudrücken, disruptiver.
Die Entwicklung hin zu einer Informations- bzw. Wissensgesellschaft, der durch neue Technologien überall und zu jeder Zeit Informationen und damit Wissen zur Verfügung steht, hat die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen stark verändert.

Die Entwicklung hin zu einer Informations- bzw. Wissensgesellschaft, der durch neue Technologien überall und zu jeder Zeit Informationen und damit Wissen zur Verfügung steht, hat die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen stark verändert.

„Die Kompetenzen, Wissen zu erwerben, effizient aufzubereiten, zu speichern und in Anwendungssituationen adäquat zu aktualisieren, sind zu einer zentralen Kulturtechnik und damit zu einem Hauptziel der Sozialisation geworden“ (KNORR-CETINA zit. n. SÜSS et al. 2018, 36).
Durch die exponierte Relevanz des Wissens wachsen Kinder und Jugendliche in einer von Informationen überfluteten „sozialen und physikalischen Umwelt“ (HURRELMANN 2006, 7) auf. Im sozialen Bereich drückt sich die Informationsfokussierung dadurch aus, dass sich innerhalb der Familie und des Freundeskreises, heutzutage vielmehr über Wissen ausgetauscht wird (mehr Fakten) und weniger über Emotionen oder Erlebnisse aus dem Alltag (weniger Persönliches). In Gesprächen finden sich daher oftmals typische Einleitungssätze, wie „Gestern in den Tagesthemen wurde gesagt, dass…“, „Ich habe auf Wikipedia gelesen, dass…“, „Auf Facebook hat jemand einen interessanten Artikel gepostet, in dem…“ usw., wieder. Der permanente Austausch über Gelesenes, Gehörtes und Gesehenes wird durch die Struktur der physikalischen Umwelt unterstützt. Überall wo wir hinschauen, sehen wir Medien, die uns mit Informationen versorgen:
• Beim Warten an der U-Bahn-Haltestelle, indem wir auf die Nachrichten- und Werbetafeln blicken.
• Während der Fahrt mit dem Auto, indem wir die Nachrichten über das Radio hören.
• Im Wartezimmer beim Arzt, wo wir mit unserem Smartphone den Newsticker einer Zeitung durchlesen.
Paradoxerweise wird der ständige Wissensdurst durch die ubiquitäre Verfügbarkeit von Informationen durch (digitale) Medien eher angeregt als gestillt.

Paradoxerweise wird der ständige Wissensdurst durch die ubiquitäre Verfügbarkeit von Informationen durch (digitale) Medien eher angeregt als gestillt.

„Das Wissen in der Gesellschaft vervielfältigt sich in immer höherem Tempo (…) Damit wandelt sich auch der Anspruch an die Sozialisanden, zu erkennen, welches Wissen und welche Kompetenzen eine hohe Halbwertszeit haben und sich damit zur individuellen Aneignung lohnen“ (KNORR-CETINA zit. n. SÜSS et al. 2018, 36).
Aus gesellschafts- und medienkritischer Perspektive kann die Hypothese formuliert werden, dass der Teil der Gesellschaft, der über angemessene Filterkompetenzen verfügt, dem anderen Teil der Gesellschaft, der (noch) nicht diese Kompetenzen ausgebildet hat, überlegen sein wird, da letzter Teil „durch den Unterhaltungsmarathon der kommerzialisierten Medien in intellektuellem Dämmerzustand gehalten wird“ (KNORR-CETINA zit. n. SÜSS et al. 2018, 37).
An dieser Stelle muss die Schule einschreiten und Licht ins Dunkle bringen. Sie muss Schülerinnen und Schüler auf ein Leben in einer Wissensgesellschaft vorbereiten und ihnen Kompetenzen vermitteln, die es ermöglichen aus der Informationsflut das herauszufiltern, was für ein Leben als mündiger Weltenbürger entscheidend ist. Nur so kann der Gefahr vorgebeugt werden, dass ein Teil der Gesellschaft von der Informationsflut profitiert, indem er diese kontrolliert, wohingegen der andere Teil der „manipulativen Hegemonie“ der Medien ausgesetzt bleibt.

Literatur:
DÖBELI HONEGGER, B (2017). Mehr als 0 und 1. Bern.
HURRELMANN, K. (2006). Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim.
SÜSS, D. et al. (2018): Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung. Hier online abrufbar.

Alexander Sali
Über den Autor Alexander Sali Alex ist Mitgründer von Freigeist und Förderschullehrer mit großer Leidenschaft für digitale Medien. Seit Sommer 2023 ist er Schulleiter der Franziskus-Schule in Starnberg. Von Sept. 2018 bis Aug. 2020 arbeitete er an der Regierung von Oberbayern und war dort für die Koordination der digitalen Bildung an Förderschulen zuständig.
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